Liegè-Bastogne-Liegè 2022

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Ü40-Cyclist
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Liegè-Bastogne-Liegè 2022

Beitragvon Ü40-Cyclist » 06.05.2022, 12:45

„La Doyenne“ 2022 oder Die Alten zu Besuch bei Der Ältesten!

Es ist ja bekannt, dass Stefan und ich neben dem Spielen im Matsch noch eine weitere radfahrerische Leidenschaft haben, und zwar das Langstrecken fahren. Dabei darf es gern etwas anspruchsvoll sein und was liegt da näher, als im Mutterland des Radsports den ältesten Radsport-Klassiker zu fahren. Die Idee dazu war bereits im Frühjahr 2019 geboren, als wir im Radurlaub einen verrückten, in Deutschland lebenden Belgier kennen lernten. Im Dezember 2019 machte der Belgier dann ernst und rief zur Anmeldung für die Liegé-Bastogne-Liegé Jedermann Challenge auf (auch liebevoll La Doyenne „die Älteste“ genannt). Klar waren wir sofort dabei. Wegen Corona gab es 2020/2021 eine generelle Absage des Events, und so konnten wir unser Vorhaben erst 2022 in die Tat umsetzen. Der Belgier sorgte für ein Rundum-sorglos-Paket. Anmeldung, Unterbringung, Verpflegung: alles organisiert. Wir mussten also nur noch anreisen und Spaß haben. Daher auch an dieser Stelle – Danke Luc!
Am Donnerstag, 21.04.22 starteten wir um 6:00 Uhr Richtung Belgien. Mit dabei auch Flo, ein Radsportkumpel von uns. Der Verkehr war kein Problem, und so waren wir schon um 13:30 Uhr in Vielsalm (Ort unserer Unterkunft) ca. 50 km von Liegè/Lüttich entfernt.
Am Nachmittag ging es gleich auf eine lockere Runde. Vielsalm liegt direkt an der Strecke der La Doyenne, und so fuhren wir schon mal 30 km der Tour ab. Wir waren noch gar nicht ganz aus dem Ort heraus und hatten schon 300 Hm auf der Uhr. Auch den bekannten Côte de Stockeu, an dessen Gipfel das Eddy Merckx Denkmal steht, durften wir schon mal antesten. Nach 35 km mit knapp über 1000 Hm war klar, das wird keine Kindergeburtstagstour am Samstag. Zurück ging es dann fast eben und Zeit für ein Käffchen war auch noch.

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Am Freitag dann eine kleine Rollerrunde, 60 km mit 600 Hm, kaum der Rede wert. Unterwegs sahen wir auch schon die ersten Fahrzeuge der eintreffenden Profiteams. Den Rest des Tages war mentale Vorbereitung und Entspannung angesagt.

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Beim Abendessen war es dann schon sehr ruhig. Jeder war irgendwie mit sich selbst beschäftigt und eine gewisse Nervosität vor dem Tag der Tage war deutlich spürbar.
Am Samstagmorgen 5:30 Uhr Abfahrt nach Banneux, einem kleinen Vorort von Liegé, wo sich Start und Ziel für die Hobbyisten befand. Die LBL Challenge wird im Stile einer RTF gefahren. Startfenster nach Streckenlänge und so ging es um 6:30 Uhr ganz unspektakulär auf die Strecke. Es gab zwar auch eine Transpondertechnik, die diente allerdings nur zur Registrierung an den Kontrollpunkten, sowie der Zeitmessung an 3 Anstiegen. Für uns total nebensächlich, der Weg war das Ziel

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Bei morgendlich frischen Temperaturen rollte es recht gut. Die ersten 90 km nach Bastogne sind nicht sonderlich anspruchsvoll und haben nur zwei Anstiege zum „Warmfahren“, den Côte d’Awan, 3,5 km lang, mit durchschnittlich 3,5%, in der Spitze 7 % und den Côte de La Roche-en-Ardenne, 2,8 km lang mit ziemlich konstant 6 %. Ansonsten ging es immer hoch und runter und so sammelten wir nahezu unbemerkt die ersten 1000 Hm.
Ab Bastogne wird es immer welliger, der nicht zu vernachlässigende Wind kam jetzt schräg von vorn, was es nicht einfacher machte. Flo unsere „Flokomotive“ leistete wie immer gute Dienste und übernahm nicht nur hier viel Führungsarbeit.

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Nach 110 km dann der erste Hammer, der Côte de Saint-Roche. Man kommt aus einer kleinen Abfahrt, macht in der Stadt einen U-Turn und dann steht sie da, die Wand von Houffalize (1 km lang mit durchschnittlich 11,2 %) Das Steigungsbarometer bleibt in der Spitze erst bei 19% stehen. Hier wird es auf dem schmalen Sträßchen richtig eng. Geschwindigkeit 7 km/h und somit kurz vorm Umfallen. Man muss aufpassen, sich nicht am Rad anderer schwankender Teilnehmer aufzuhängen. Oben dann durchatmen und langsam wieder Tritt aufnehmen.

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Wir kommen nach Vielsalm. 150 km und 2000 Hm sind geschafft. Wir sitzen bereits seit 6 Stunden im Sattel und der anstrengendste Teil sollte erst noch kommen, denn es waren erst 3 der 12 kategorisierten Anstiege geschafft. Ab nun geht es Schlag auf Schlag:
Côte de Mont-le-Soie 3,9 km lang, im Schnitt 6 % und in der Spitze 12 %
Côte de Wanne 3,6 km lang, im Schnitt 6 % und in der Spitze 12,5 %
Côte de Stockeu 1 km lang, im Schnitt 12 % und in der Spitze 19 %
Dieser war heute gefühlt deutlich länger und deutlich steiler als auf unserer lockeren Erkundungsrunde.
Côte de la Haute-Levèe 3,6 km lang, im Schnitt 6 % und in der Spitze 13 %
Col du Rosier 4,4 km lang, im Schnitt 6 % und in der Spitze 10 %
Côte de Desniè, 6,5 km lang, im Schnitt 5 % und in der Spitze 12 %
Wo es rauf geht, geht es natürlich auch wieder runter. Allerdings sorgen die Abfahrten kaum für Erholung, da sie oft recht steil sind und der Asphalt sehr ruppig ist. Nach 215 km die letzte Verpflegung, die übrigens alle wirklich gut organisiert waren. Ich glaube, ich habe eine Menge Zeugs und 3 Orangen gegessen, die an diesem Punkt wirklich eine Wohltat waren und die Lebensgeister zurückbrachten.
Dann der wohl bekannteste Anstieg der Runde, der Côte de la Redoute, 2 km lang, im Schnitt 9 % und in der Spitze 16 %. Gesäumt von Wohnmobilen der bereits angereisten Fans ging es hinauf. Hier werden bei den Profis oft entscheidende Attacken gefahren. Brauchten wir nicht, war ja eine RTF :cool: .

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„Nur“ noch 30 km! Nach etwas Erholung in einem flacheren Abschnitt folgt der Côte de la Roche-aux-Faucons, mit 1,3 km nicht sehr lang aber durchschnittlich 11% Steigung und in der Spitze wieder kurz unter 20 % - ein echter „Körnerzieher“ nach 235 km.

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Kräfte und Konzentration schwinden, der letzte Teil wird immer zäher. Circa 15 km vor Ende gabelt sich die Strecke. Die Profis dürfen am nächsten Tag nahezu eben bis ins Ziel nach Liegè ballern. Wir nehmen auf dem Weg zurück nach Beanneux noch einen letzten Anstieg, den Côte de Cortil, 3 km lang, im Schnitt 6,5 % und in der Spitze 8,5 %.
Dann ist es fast geschafft, aber „Die Älteste“ gibt bis zum Schluss keine Ruhe.
Der virtuelle Teufelslappen ist schon in Sichtweite und nochmals ist es ansteigend, nur 1 km, nur 3-4 Prozent, eigentlich lächerlich, aber hier und heute brennen die Oberschenkel spürbar. Die letzten 500 m sind dann flach, auf den Zielsprint wird verzichtet, ist ja eine RTF und es geht um nichts, außer um „Ruhm und Ehre“ für jeden selbst. Im Ziel werden wir mit einem netten Umhängsel, einer gekühlten Dose 0,0% Bier und jeder Menge Stolz belohnt, denn man sich selber zollt und von seinen Mitfahrern erhält.
Wahnsinn: 256 km, knapp 4400 Hm, eine Bruttofahrzeit von 11:50 h und das im April, wo viele gerade mal ihre ersten Straßenkilometer der Saison sammeln.
Als Flachländer haben unser Youngster und wir zwei alten Männer ganz passabel performt, und selbst ein Lächeln war am Ende eines langen, kräftezerrenden Tages noch drin!

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Zurück in der Unterkunft gab es erstmal lecker Essen und das ein oder andere Belohnungsbier. Die Stimmung war ausgelassen, denn alle 16 Fahrer/-innen unserer Gruppe waren ohne Sturz zurück, was natürlich die Hauptsache war.
Beim Blick auf den Alkoholgehalt des Bieres war dann auch klar, warum die Belgier mit den Steigungen besser zurechtkommen. Sie sind es halt gewohnt mit 8-10% umzugehen prrosit .
Am Sonntag gemeinsames Frühstück und kurz vor die Haustür, um das Profi-Peloton der Frauen anzufeuern. Dann noch etwas aufräumen und Abfahrt Richtung Heimat. 18:30 Uhr zu Hause angekommen, war das diesjährige Saisonhighlight schon wieder Geschichte. In Erinnerung bleibt ein super Trip im Kreise netter Radsportler.
Ach ja und weil es so schön war, hat der Belgier schon einen Aufruf für 2023/2024 gestartet. „Die Hölle des Nordens“ (Paris-Roubaix Challenge) und „De Ronde“ (Flandernrundfahrt) stehen auf dem Plan. Ich sag es ja: „Nur Verrückte, diese Radfahrer“. :Sehrlachend:

CX-Grüße Stefan, Flo und Mario

Fotos: sportograf.com, Koen Miseur, Dagmar R. and by myself
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Don Vito Campagnolo
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Re: Liegè-Bastogne-Liegè 2022

Beitragvon Don Vito Campagnolo » 06.05.2022, 17:42

Ü40-Cyclist hat geschrieben: 06.05.2022, 12:45 „Nur Verrückte, diese Radfahrer“.
Dem ist kaum etwas hinzuzufügen - bekloppt aber geil! :Empfehlung: :Respekt: Pokalhoch banana :kipprein: :applaus: :freuinrosa: :chearleader: :gruss: :dance:

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