Kein Ende in Sicht</b>
Diese Zeilen sind fester Bestandteil des Soundtracks der Tour Transalp (u. a. Linkin Park - Burn it Down, Blur- Song 2, Robbie Williams - Let me entertain you, Flo Rida – Whistle) und haben mich über so manchen Berg begleitet. Speziell eine Textzeile hat sich dabei als überragendes Mantra bewiesen, aber dazu später mehr, schließlich will ich den Ereignissen nicht vorgreifen.Die Toten Hosen hat geschrieben:An Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit
An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit
In dieser Nacht der Nächte, die uns so viel verspricht
Erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht
Kein Ende in Sicht
Kein Ende in Sicht
Kein Ende in Sicht
An Tagen wie diesen, wünscht man sich Unendlichkeit
An Tagen wie diesen, haben wir noch ewig Zeit
In dieser Nacht der Nächte, die uns so viel verspricht
Erleben wir das Beste, kein Ende ist in Sicht
Erleben wir das Beste, und kein Ende ist in Sicht
Kein Ende in Sicht
Prolog
Wie verabredet trudeln am Freitag alle vier Recken pünktlich, fit, gesund, mit durchgechecktem Material und bei feinstem Sonnenschein am Treffpunkt Kuddewörde ein. Beim Kaffee auf der Terrasse wird uns klar: Die Lage ist zwar hoffnungslos, aber noch nicht wirklich ernst. So wird also der Bus beladen und ab geht es auf die Bahn – leider schon in und um Hamburg sehr zäh, was sich auch bis hinter Hannover so halten wird. Auch der Rest der Strecke läuft nicht immer so richtig flott, und so trudeln wir erst kurz nach Beginn des Fußballspiels in unserer Unterkunft in der Leutasch ein.
Hier läuft aber alles glatt: Die Ferienwohnung sieht gut aus, der Wirt macht uns trotz geschlossener Küche noch leckere Spaghetti, Erdinger bleifrei gibt es auch und zu guter Letzt gewinnt die deutsche Mannschaft auch das Viertelfinale. Ein Blick in die Runde gibt bereits eine Ahnung, was für ein buntes Teilnehmerfeld wir in den nächsten Tagen kennenlernen werden: Mit uns wohnen in der Reiterklause zwei Holländer mit zu vielen und ohne Haare, eine Delegation der Teams aus Israel, ein Schweizer Pärchen, eigene Landsleute und auch Henri aus dem E-Plus-Team, das für die NCL-Stiftung fuhr. Ein in Köln lebender Niederländer, dessen linker Arm kurz über dem virtuellen Handgelenk endet. Die Hand ist amputiert, fahren wird er mit einer speziellen Prothese mit 2-Arm-Haken, die dann auf dem entkernten Bremsgriff aufliegt. An der rechten Lenkerseite sind beide Di2-Griffe angebracht, so dass er dort beide Schaltwerke und Bremsen bedienen kann. Soviel sei vorab verraten: Henri und sein Teampartner waren am Ende der Woche über 20 Minuten schneller als wir!
Am Sonnabend gegen Mittag rauschen wir rüber nach Mittenwald zur Akkreditierung:
Man merkt die jahrelange Erfahrung, alles ist gut durchorganisiert und so stehen wir ruck-zuck mit den großen Reisetaschen, Startnummern, Transpondern, Gutscheinen für die 8 Pastapartys, den Rücktransport und etlichen anderen Goodies mitten in Mittenwald.
Also rüber zur „Expo-Area“, die noch gar nicht geöffnet hat, so dass wir noch ein bisschen im örtlichen Radladen herumlungern, ehe es los geht und wir unsere ersten Cappuccini am Sigma-Kaffee-Mobil genießen. Nach weiterer Stadterkundung und dem ersten Treffen mit dem „Schaalsee-Express“ (Dirks Kumpel Axel und sein Schwager Henkel, beide „Wiederholungstäter“ auf der Transalp) düsen wir wieder zurück ins die Unterkunft: Klamotten aus der „zivilen“ in die offizielle Tour-Tasche umpacken, überflüssige Dinge im Bus zurücklassen, Sachen für den 1. Tag rauslegen und dann geht es auch schon wieder los zur 1. Pasta-Party in der eislosen Eisarena.
Da sind wir intuitiv 30 Minuten zu früh, was heißt: Freie Platzwahl, keine Schlange und Essen wird schon ausgegeben. Diese Strategie werden wir die nächsten Tage beibehalten, denn kurz vor 6 hat sich bereits eine stattliche Schlange quer durch die Arena gebildet. Die Bolognese-Soße ist an Langweiligkeit nicht zu überbieten – nun ja, das dachte ich jedenfalls, bis ich beim Nachschlag die Napoli-Sauce (= warme passierte Tomaten-Schlatze, ohne jegliche Spuren von Gewürzen oder Kräutern) probiere. Erste Alternativ-Szenarien für die Folgeabende werden schon ausgemalt, falls die kulinarische Qualität sich auf diesem Level einpendeln sollte.
Anschließend ein bisschen buntes Programm, Begrüßung und das Briefing inkl. virtuellem Streckenflug für die erste Etappe.
Zurück in der Unterkunft gab es noch einen Schlummertrunk, aber wirklich ruhig und fest schlummerte diese Nacht wohl niemand.
Erste Etappe (zum „Einrollen“ …)
Da an diesem Sonntag eine kirchliche Prozession über die Leutasch ziehen sollte, war der Start nicht wie an allen anderen Etappen um 9.00, sondern schon um 8.30 Uhr. Das bedeutete frühes Aufstehen um 6 Uhr, frühstücken, Zimmer räumen und Sachen ins Auto werfen. Bis um 7.30 Uhr mussten wir die Taschen in der Mittenwalder Kaserne abgeliefert haben, dort konnte auch das Auto die Woche über parken. Beim runterrollen zum Start trafen wir wieder den Schaalsee-Express, die aufgrund ihrer Vorjahreszeit im Block C aufgestellt waren (4 Blöcke: Die 100 schnellsten Teams in A, 200 Teams in B, 200 Teams in C, der Rest in D), wir als Rookies mussten uns hinten in D einreihen.
Zur Einstimmung -wie an allen kommenden Tagen- schallt laute Musik durch die Straßen, noch ein paar letzte Fotos uns, los geht es, zunächst neutralisiert bis zum ersten Anstieg am Ortsausgang. Bereits nach wenigen hundert Metern sieht man den ersten armen Teufel mit Plattfuß in der Mittenwalder Fußgängerzone stehen, und auch Sven hat seine erste Panne im Anstieg hinter dem Ort: Sein Radcomputer löst sich vom Sockel, so dass er mitten im Pulk anhalten, ihn aufsammeln und dem Feld hinterherfahren muss. Bald ist er aber wieder da und wir rollen als Quartett an der Spitze einer größeren Gruppe durch die Leutasch zur Buchener Höhe. Der erste Pass, niedliche 330 Höhenmeter über der Starthöhe, war genommen.
Die Abfahrt hinunter nach Telfs ins Inntal ist gesäumt von den ersten gestürzten Fahrern: An sich eine gute Strecke, auf der es sich leicht mit guten 70 Sachen dahinrollen lässt, aber geschätzte fünf Teilnehmer schon überforderte. Also lieber nicht so genau hinschauen und gaffen, nicht beeindrucken lassen und weiter, immer weiter den Berg hinab. Stephan und Sven waren nicht mehr zu sehen, Dirk war bei mir. Unten in der knapp 20 km langen Ebene bildete sich dann eine Gruppe, in die kurz vor dem Anstieg zum Kühtai auch die beiden anderen wieder hineinrollten. Meine 3 Gefährten gingen den Anstieg gleich etwas flotter an, ich hielt mich an meine selbst gesetzte Vorgabe von 80 % der max. Herzfrequenz. 5 km / 324 HM später folgte schon die 1. Verpflegungsstation.
Da sich eine lange Schlange von Fahrern gebildet hatte beließ ich es kurz vor diesem Punkt bei einem kurzen Pipi-Stop, schließlich hatte ich noch 1 ½ volle Trinkflaschen, also mindestens 1,1 Liter, an Bord. Hinter der Station wartete Dirk auf mich, und so fuhren wir gemeinsam weiter. Vor uns tauchte ein Fahrer im Trikot des Öztaler Radvereins auf, der eine Powertap-Messnabe im Rad hatte und sehr konstant und augenscheinlich genau im richtigen Tempo für meine HF-Marke fuhr. Also gab ich die Losung aus: An dem bleiben wir dran! So zog sich der insgesamt 23 km lange und rund 1.400 Meter hohe Anstieg hin. Hart wurde es an einer der richtig steilen und recht langen Rampen. Die ersten Fahrer stiegen ab und schoben den Berg hoch, das Tempo sank soweit ab, dass ein Fahren im geraden Strich nicht mehr möglich war und der Puls lang konstant bei 93 % - an solchen Passagen ist es unmöglich kontrolliert zu fahren, da muss man einfach nur drücken, drücken, drücken und die Kurbel irgendwie herumbringen. Nach diesem Steilstücken ging es dann aber wieder mit geplanter Intensität weiter und etwa 100 Höhenmeter unterhalb der Passhöhe fuhren wir wieder auf Sven und Stephan auf, bald darauf war dank mittlerweile sommerlicher Temperaturen auch mein Getränkevorrat erschöpft. Also schnorrte ich Dirk an, der noch eine fast volle Flasche am Rad hatte und selbstlos wie ich bin, half ich ihm dabei, den Ballast zu reduzieren.
Oben auf der Passhöhe war Sven außer Sichtweite, und so ließ sich Stephan zurückfallen, während Dirk und ich es bergab richtig laufen ließen. 18 km lang und mehr als 1200 HM ging es runter. Leider bekam ich in der Abfahrt erste Muskelkrämpfe an der Innenseite der Oberschenkel im Lendenbereich – unglaublich, da hatte ich noch nie im Leben Krämpfe. Von Oetz aus ging es noch 30 km leicht ansteigend zum Ziel – Dirk spannte sich in bester Ironman-Manier als Windschattengeber vor und wir fuhren in eine Gruppe hinein, in der neben dem Schaalsee-Express auch unser Mann mit der Powertap-Nabe steckte – Dirk hat also die am Kühtai ausgegebene Rennstrategie perfekt umgesetzt. So ging es dann zügig, aber krampffrei ins Ziel nach Sölden – wieder zum Kaffeemobil (powered by Sigma) und wir warteten auf unsere Spießgesellen.
Dem vorbeischlendernden Rennleiter Uli Stanciu klopften wir verbal für die schöne Streckenführung auf die Schulter; er beunruhigte uns hingegen mit der Wetterprognose für den 2. Tag: „Morgen werdet ihr wohl einmal nass werden.“
Sven erging es ähnlich wie mir, nur hatte er weitaus mehr unter den Krämpfen zu leiden, und so kam „Team 1“ mit einigem Rückstand ins Ziel. Dennoch hatten beide Teams es geschafft, sich für den nächsten Tag in den Block C vorzuarbeiten.
In unserer familiären Unterkunft wurden wir freundlich empfangen, die Taschen standen auch schon bereit und ein kostenloser Wäscheservice wurde uns angeboten. Frisch geduscht und stadtfein schlenderten wir bei mittlerweile regnerischem Wetter in den Ort und 20 Minuten vor der Zeit kreuzten wir auf der Pastaparty auf – wieder zeitig genug, um vor dem Ansturm am Pastabuffet (5 Sorten, eine besser, als die andere) reinzuhauen.
Nach dem Essen dann das allabendliche Ritual: Siegerehrungen der Tagessieger aller fünf Wertungen, Übergabe der Leader-Trikots an die Führenden der Gesamtwertungen, Briefing für die nächste Etappe und einen ca. 7-minütigen Filmzusammenschnitt der besten Video-Bilder des Tages. Danach noch ein kleines Abendgetränk in einer Söldener Pinte und nachdem alle Klamotten für den nächsten Tag bereit liegen, ging es mit den müden Beinen ins Bett.
Die Fakten des Tages:
2.475 Höhenmeter, 115,17 km (davon 67,52 km in 3:30:52 Std. bergauf), durchschnittliche Herzfrequenz 172 bpm (klingt viel, allerdings liegt meine max. HF bei 208), Temperatur zwischen 17,0° und 36,8°C, max. Steigung 18 %, max. Geschwindigkeit 83,38 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 24,78 km/h und 24,352 km/h overall, min./max. Höhe: 609/2013 m, Kalorienverbrauch: 4.400 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: Kategorie-Platz der Etappe 129 in 4:43:45 Std., Gesamt-Platz 129 Kategorie / 366 Overall
Team Hamfelder Hof 1: P165 in 4:59:26 Std., Platz 165 / 463.
(Schaalsee-Express: P133 in 4:45:33 Std., 133 / 376)
Zweite Etappe (mit dem höchsten Punkt der Tour)
6:30 Uhr Weckerklingeln. Blick aus dem Fenster: Regen. Jetzt läuft das vollautomatische Programm der nächsten 6 Tage: Aufstehen, Reifen nachpumpen, Zähne putzen, Trinkflaschen mit Iso-Pulver befüllen + einen 0,4 l Becher Iso-Drink für nach dem Frühstück mixen, Ultrasport Starter als Vor-Frühstück mischen und exen, in Radhose und Unterhemd schlüpfen, Sonnencreme auftragen, alle nicht benötigten Dinge in die große Tasche stopfen und diese bis 7.00 Uhr an der Rezeption abgeben. Dann Frühstücken, anschließend Flüssigkeitsspeicher mit dem Isodrink füllen, ~45 Min. auf dem Bett abgammeln und das Frühstück verdauen, Gang zur Toilette, restliche Klamotten anziehen (d. h., heute mit Armlingen, Regenjacke, Knielinge und Überschuhe) aufsatteln und zum Start rollen.
Es regnet immer noch, als wir in der Startaufstellung stehen. Sven ist mental leicht angeschlagen und hat für heute die Parole „Piano“ ausgegeben. Neutralisiert führt die Strecke nur ca. 1,5 km flach aus Sölden heraus, dann geht es gleich hinein in den Anstieg auf das Timmelsjoch. Schon nach der ersten Kehre hört der Regen auf und ich suche eine größere Lücke, um mich von meiner Regenjacke zu befreien – gar nicht so leicht bei langsamer Fahrt bergauf, aber die Feinmotorik funktioniert. Ich suche mir das Hinterrad eines Mixed-Teams der „Tour“ und kurbele stoisch durch die kühle, feuchte Luft. An den kleinen Rampen blicke ich ein wenig neidisch auf das WiFLi-Kit vor mir, denn der 32er Rettungsring erlaubt dort einen etwas flüssigeren Tritt, während ich schon etwas kräftiger auf meinen 29er Ritzel eintreten muss. Dirk hat ab heute immer seine Kamera dabei, um damit gegen sein „Boreout-Syndrom“ zu kämpfen: Bei meinem Tempo ist er nicht wirklich gefordert, und so kommen wir wenigstens zu unzähligen Bildern.
An der Mautstation Hochgurgl halte ich kurz an, um die Regenjacke wieder überzuziehen, denn es hat wieder begonnen leicht zu regnen. 2 km weiter beginnt eine kurze Abfahrt, die ich in voller Fahrt genieße und damit wieder auf das „Team Tour“ aufschließe.
Der Regen lässt nach, aber da die Temperatur in mittlerweile > 2.000 m Höhe recht moderat ist, genügt es die Regenjacke zu öffnen. Vor dem Gipfel des Timmelsjoch fahren Dirk und ich an Stephan vorbei, der sich jetzt zu Sven zurückfallen lässt.
Nach der gestrigen Erfahrung der leeren Flaschen, tanke ich bei der 1. Verpflegung des Tages heute noch mal nach, schließe die Jacke, genieße den mit 2.509 Metern höchsten Punkt dieser Woche und dann geht es in die kurvenreiche Abfahrt: Die war gestern mit ihren engen Kehren als anspruchsvoll und nicht ungefährlich beschrieben worden, so dass mir die nassen Bedingungen etwas Sorge bereiteten. Glücklicherweise sind nur die ersten ein bis zwei Kilometer der Straße noch nass, danach wird es immer trockener und besser. So können Dirk und ich es richtig schön laufen lassen, leider liegen am Wegesrand aber wieder einige Sturzopfer, uns entgegen fährt ein Rettungswagen, kurz vor Ende der Abfahrt ist ein Helikopter zu hören.
Unten in St Leonhard ist es sonnig und sehr warm. Also kurz rechts ran, Jacke, Langfingerhandschuhe und Armlinge in den Trikot-Taschen verstauen, kurz Pipi und weiter geht es rauf zum Jaufenpass.
Die Steigung ist hier zwar nicht gerade gering, aber schön gleichmäßig, fast wie mit dem Lineal gezogen. Das kommt mir entgegen, da ich die Rhythmuswechsel am Berg nicht mag. So liegt also der passende Gang auf und wie mit dem Tempomat geht es hinauf, nur unterbrochen von der auf halber Höhe liegende 2. Verpflegungsstation. Die 15 km lange Abfahrt entschädigt für die geleistete Arbeit und unten findet sich auch eine Gruppe, die dem recht kräftigen Wind trotzt. Dank leichtem Gefälle auf den nächsten 25 km läuft die Gruppe schnell, aber nicht sehr harmonisch bis kurz vor Brixen. Hier kommen noch mal zwei kurze, aber ganz eklige Stiche, bereits am ersten Stich wird die Gruppe auseinandergesprengt – Dirk natürlich vorn, ich hinten. Und es geht noch mal ein richtig kräftiger Regen nieder, der diesmal auch ausreicht, um die Schuhe zu fluten. Mit zwei Dänen, einem weiteren Team und zwei Einzelfahrer bilden wir wieder ein Grüppchen, den zweiten Stich geht es recht flott rauf. Dann kommt oben auch schon die Zeiterfassungsmatte, wo auch Dirk wartet.
Zum Schluss geht es neutral eine sehr steile und enge Abfahrt hinunter zum Domplatz in Brixen und dort natürlich wieder zum Sigma-Kaffeemobil. So gestärkt laufen wir dem Tagesschau-Sprecher Thorsten Schröder und seiner Begleiterin (*ahh, mein Namensgedächnis…), die uns als Kuhtrikot-Träger anspricht, in die Arme: Wie sich herausstellt, ist sie auch die Osteopathin von Petra & Carsten (einen schönen Gruß soll ich euch bestellen!) und wir plaudern über Dies & Das, Thorstens ersten Langdistanz-Triathlon in der folgenden Woche, aufgrund dessen er auch nur die beiden ersten Etappen der Transalp für einen guten Zweck fährt.
Unser Quartier, die Jugendherberge von Brixen, liegt nur 200 m entfernt, und so haben wir ruck-zuck eingecheckt und für unserer noch kämpfendes Team 1 auch schon die Taschen in den 4 Stock befördert. Mit uns zusammen checkt ein Mixed-Team ein: Er sieht reichlich zerschunden aus, mit Verbänden an beiden Armen und Beinen. Wie sich herausstellt, hat er eine Bodenwelle in der Abfahrt des Timmelsjoch übersehen und hat einen 15 Meter Flug in die Botanik veranstaltet. Anschließend bekam er einen Freiflug per Rettungshubschrauber in die Klinik, wurde dort untersucht, verbunden und mit Schmerzmitteln versorgt. Seiner Meinung nach war es ein glücklicher Umstand, dass er 1. nichts Hartes in den Trikottaschen hatte und kurz zuvor seine langen Handschuhe in die mittlere Tasche, also direkt über der Wirbelsäule und damit als „Rückenprotektor light“ verstaut hatte. Ein Bild des Jammers, wie er da in der Halle stand, aber: Am nächsten Morgen war er wieder am Start und die beiden haben die Transalp auch beendet, natürlich mit riesigem Zeitrückstand* (*Wer wegen Sturz/Verletzung/Defekt eine Etappe nicht beenden kann, erhält die Zeit des letzten gezeiteten Fahrers der Etappe plus 2 Stunden.).
Wir waren schon frisch geduscht und gerade dabei, unsere Räder zu putzen, als Stephan und Sven eintrudelten – zwar mit großem Zeitrückstand, aber Sven machte einen mental gefestigten Eindruck, hatte sich also wieder „zurückgekurbelt“. Dann ein lauter Knall in der Eingangshalle: Stephans Vorderradreifen war geplatzt! Der Schlauch auf ca. 15 cm Länge aufgerissen, und auch am Mantel des Ultremo ZX war am unteren Rand (noch unterhalb der Wulst) dabei ein ca. 10 cm langer, dünner Gummistreifen mit "abgesprengt" worden. Bei der Reklamation am Schwalbe-Stand beäugte der S-Mitarbeiter den Schlauch und diagnostizierte einen Montagefehler. Okay okay, das war nun seine, offizielle Schwalbe-Meinung. Wer aber weiß, wie akribisch und penibel Stephan seine Schläuche montiert … und selbst wenn er da vielleicht etwas verbockt haben sollte: Tritt das dann in solch einer Situation zutage, nachdem man zuvor bereits 2 Etappen mit 240 km und 4.500 HM bestritten hat? Egal, der Schutzengel hat jedenfalls gute Arbeit geleistet und danach wanderte wieder ein angefahrener 4000S auf das Vorderrad und für die restlichen 5 Etappen war alles chico.
Abends ging es dann kurz zum Shopping in einen Supermarkt, zur Pasta-Party und noch auf einen Absacker in einen sehr schönen Biergarten, on top eine recht mittelmäßige, dabei aber nicht billige Kugel Eis.
Die Fakten des Tages:
2.998 Höhenmeter, 123,87 km (davon 48,47 km in 3:58:47 Std. bergauf), durchschnittliche Herzfrequenz 157 bpm, Temperatur zwischen 13,2° und 36,6°C, max. Steigung 15 %, max. Geschwindigkeit 73,69 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 21,60 km/h und 20,881 km/h overall, min./max. Höhe: 559/2.509 m, Kalorienverbrauch: 4.596 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: P147 in 5:45.56 Std., Platz 138 / 375,
Team Hamfelder Hof 1: P211 in 6:38.03 Std., Platz 193 / 526.
(Schaalsee-Express: P150 in 5:49.13 Std., 144 / 391)
Dritte Etappe (kurz, aber steil)
Der einzige Tag mit getrenntem Start, denn Stephan und Sven waren wieder in den Block D zurückgefallen. Und zwar Kaltstart: Direkt vom Start weg geht es bergauf. Dirk und Stephan bekommen heute „freie Fahrt“, ich plaudere auf den ersten Kilometern mit einem Fahrer des Radsport Teams Malente, der als Einzelstarter unterwegs war – immer schön, wenn man noch den einen oder anderen mutigen Norddeutschen trifft.
Bis Lüsen rollt es sich noch entspannt auf guter Straße, dann zweigt das Feld ab auf einen Nebenweg, der normalerweise Wanderer und Radwanderer hinauf zum Würzjoch führt.
Der sich schnell verändernde Luftdruck spielt mir und meinem Radcomputer einen Streich, denn eigentlich signalisiert mir das Gerät beim Wiederauffahren auf die Hauptstraße, dass die Höhe des Passes schon erreicht sei – in Wahrheit dauert es aber doch noch einige Kilometer, ehe es soweit ist. Oben an der Verpflegungsstation dann ein Wiedersehen mit Dirk und gemeinsam düsen wir hinab, nicht ohne dabei jedoch zwei kräftige Gegenwellen hinaufwuchten zu müssen.
In stetem Auf und Ab geht es kräftezehrend weiter bis zum Schlussanstieg: 750 Hm hinauf zum Furkelpass, im Tour-Jargon wegen seiner bis zu 19 % steilen Rampen auch „Furunkel-Pass“ genannt. Und er ist wahrlich ein Geschwür, dieses Mal bin ich aber erleichtert über die ungleichmäßige Steigung: Wenn man lange Zeit Steigungen von über 10 % wuchten muss, kommen einem 7 oder 8 % fast flach vor und geben Gelegenheit am Riegel zu knabbern und zu Trinken. Hier setzte ich auch zum ersten Mal mein „Tote-Hosen-Mantra“ ein: Schier endlos scheint die Steigung und meine innere Stimme singt unaufhörlich: Kein Ende in Sicht, Kein Ende in Sicht, Kein Ende in Sicht…
Irgendwann ist es aber doch geschafft, die Straße flacht ab, rechts taucht ein See auf und ich ziehe rasch die Windweste über den klitschnass verschwitzen Körper und stürze mich in die Abfahrt. An deren Ende liegt ca. 4 km vor St. Vigil die Zeitmessmatte - zeck drüber, direkt dahinter links Abbiegen und nach der folgenden Linkskurve kommen Dirk und Stephan am Straßenrand stehend in Sicht. Dabei kommt mir mein Hinterrad ein wenig weich vor – tatsächlich habe ich einen Plattfuß, im Sinne des Rennens aber zu einem günstigen Zeitpunkt.
Also ab hinter die Leitplanke auf die Alm, Rad raus, währenddessen hält der Schwalbe-Wagen an und fragt ob Hilfe benötigt werde – ich verneine dankend, was mir wenig später leidtun wird, denn im Eifer des Gefechts beschädige ich offenbar mit dem Reifenheber den Ersatzschlauch. Also das gleiche Spiel noch einmal, Dirk opfert seinen Ersatzschlauch – im wahrsten Sinne des Wortes, denn ich als Zeremonienmeister des Butylopferaltars kille auch diesen Schlauch fach- und sachgerecht. Entnervt wandert nun ein selbstklebender Park-Tool-Flicken auf den soeben gehimmelten Schlauch, die Montage übernimmt dieses Mal Dirk für mich – was dann auch endlich gut geht. Jetzt noch gefühlte 1.000 Hiebe mit der Mini-Pumpe und schon können wir die Fahrt hinab ins Dorf beenden.
Während dieses Schauspiels gesellte sich auch Sven zu uns und berichtet darüber, dass er den Puls nicht mehr auf Touren bekommen hätte und über weite Strecken mit Grundlagenpuls den Berg hinauf gefahren sei. Aus Pietät verkneife ich es mir laut loszuprusten und lache nur innerlich in mich hinein: So etwas habe ich ja noch nie gehört, … Grundlagenpuls und Bergfahren …, aber dieses Lachen sollte mir an den kommenden Tagen noch im Halse stecken bleiben.
Im Zielbereich fiel der Sigma-Kaffee aus, denn die lange Schlange am Stand wirkte mehr als abschreckend. In unserem Quartier wurden wir wieder herzlich empfangen und in einen wahren Tanzsaal geführt: Der Seminarraum der kleinen Pension war für uns mit vier Betten ausgestattet worden und ganz wie Sven es sich gewünscht hatte, mit direktem Gartenzugang, inklusive Liegestuhl.
Die abendliche Pastaparty musste wegen der langen Schlange noch etwas warten und wir geben für den nächsten Abend unsere Schlösser beim Tour-Mobil ab, denn in Falcade müssen die Räder in den Bike-Park, da unsere Unterkunft dort ca. 12 km und 900 Hm außerhalb liegt; wir also auf den Bus-shuttle zurückgreifen werden müssen. Dann holen wir in einem örtlichen Hotel (in dem auch „der Lude“ Jörg Ludewig mit seinem Lightweight-Team longierte) den ausgefallenen Nachmittagskaffee nach. Gegenüber gab es dann noch ein Kaltgetränk, ehe es zur wirklich lohnenswerten Pasta-Party ging: Dieses Mal gab es leckeres Backhähnchen mit einen Nudel-Gemüse-Auflauf, nur als Nachschlag musste eines etwas langweilige Tomatensoßen-Pasta herhalten.
Die Fakten des Tages:
2.939 Höhenmeter, 85,08 km (davon 44,8 km in 3:44:10 Std. bergauf),
durchschnittliche Herzfrequenz 157 bpm, Temperatur zwischen 17,5° und 35,8°C, max. Steigung 19 %, max. Geschwindigkeit 72,33 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 17,74 km/h und 17,146 km/h overall, min./max. Höhe: 559/1.992 m, Kalorienverbrauch: 3.912 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: P 149 in 4:45.11 Std., Platz 144 / 382,
Team Hamfelder Hof 1: P156 in 4:52.57 Std., Platz 182 / 489.
(Schaalsee-Express: P136 in 4:37.53 Std., 142 / 376)
Vierte Etappe (die Schönste)
Heute geht es ins Herz der Dolomiten: Im neutralisierten Start geht es bergab hinaus aus St. Vigil. Bereits in dieser Phase fällt es mir schwer, die Pace der Gruppe mitzugehen, die Beine fühlen sich schwer und langsam an. Den recht flachen Anstieg durch das Gadertal gelingt es mir dennoch ein wenig vom Windschatten der Gruppe zu profitieren, im Anstieg zum Grödnerjoch ziehen die Gefährten jedoch davon und auch unzählige nachfolgende Fahrer an mir vorbei. Ein kurzer Schnack mit einer Svens Arbeitskollegin, die im Team HSW (Hamburger Stahlwade) fährt, aber auch deren Hinterrad kann ich nicht halten. Der Anstieg ist gleichmäßig und nicht allzu steil, und obwohl die Beine nicht kraftlos sind kommen sie trotzdem nicht auf Touren, ebenso wie der Puls – die angepeilten 80 % erreiche ich nicht mehr, pendle mich stattdessen bei 75-78 % ein. Aber die lange Zeit nutze ich, um die atemberaubende Landschaft zu genießen: Links bizarre Dolomitengipfel, recht bizarre Dolomitengipfel, geradeaus zieht die Straße in Richtung einer grünen Alm mit Hütte – einfach Wahnsinn.
Die Passhöhe ist erreicht, die kurze Abfahrt nehme ich ohne Weste in Angriff. Es folgt ein Flachstück, bei dem ich am Hinterrad eines Italieners lutschte und schon geht es zum 2. Pass des Tages, dem Passo Sella. Die schöne Landschaft legt noch ein, zwei Schippen drauf – fast unerträglich ist die Schönheit, durch die wir hier radeln. Liegt es daran oder ist es der im Auge brennende Schweiß, der 1-2 Tränchen kullern lässt? Egal, diesen Pass erkläre ich zu meinem Liebling, oben sehe ich einen Teilnehmer lässig mit Cappuccino-Tasse das Panorama genießen.
Ich werfe die Windweste über und rausche zu Tal. Reichlich Verkehr, schnell vor einer Spitzkehre einen Dreierpack aus Reisebus, Ambulanzwagen und Schwalbe-Support vernascht und dann aufpassen, denn ein schwarzen Bitumen schwitzender Asphalt im oberen Bereich wirkt nicht gerade vertrauenserweckend. Dann der 3. Pass – Passo Fedaia mit dem türkisfarbenen Fedaia-See und weiterhin atemberaubendem Blick auf Kreuzkofel, Langkofel, Sella, Sella, Marmolada, Monte Pelmo und Civetta. Die lange Abfahrt führte vorbei am Lago di Alleghe und hatte als Highlight eine schön steile und richtig lange Gerade, auf der ich meinen persönlichen Highscore auf fast 92 km/h hochschrauben konnte. Das Titanio lief auch dabei wie auf Schienen geradeaus – ein Tour-Test würde es wahrscheinlich als viel zu weich schmähen, ich lache innerlich über die STW-Jünger auf ihren überharten Carbonkisten.
Weiter unten formiert sich eine gute Gruppe, die gegen Ende der Etappe allerdings wieder zerfleddert, denn auf den letzten 7 km geht es noch einmal rund 400 Hm hinauf zum Ziel – diese finale Bergankunft habe ich gehasst.
Im Ziel sind schon alle 3 Kühe da, was mir immerhin einen schnellen Zugriff auf einen Cappuccino sichert. Die Füße brennen und ich fühle mich wie aus der Sauna gezogen. Ich bin restlos bedient und rolle schon vor zum Bike-Park. Dirk und Stephan überlegen es sich unterdessen anders und fahren, irrtümlich von 3-400 Hm ausgehend, per Rad zu unserer Unterkunft auf dem Passo Valles. Sven folgt mir und ergattert für unsere Räder ein Plätzchen im Bauch des Busses, denn die Gepäckluken sind noch frei, auch der Schaalsee-Express gesellt sich – radlos – hinzu. Nun folgt eine astreine „Versteckte Kamera“-Aktion, denn niemand weiß von nichts: Der Bus ist rappeldicke voll, der Fahrer wartet auf Anweisungen, eine planlose, überforderte Organisationsmitarbeiterin mit Ganzgesichtssonnenbrille steht dauertelefonierend vor dem Bus, in dem sich langsam eine Meuterei anbahnt. Endlich geht es los und wir werden als letzte oben am Passo Valles ausgeladen.
Dirk und Stephan sind auch erst seit kurzem da, hatten ein wenig Glück und konnten sich zwischendurch noch ein paar Meter von einem den Weg suchenden Schwalbe-Fahrzeug ziehen lassen. Dennoch: Chapeau für diese Extra-Leistung! Für mich wäre nach solch einer Zugabe die Tour beendet gewesen.
Beim „Moretti Zero“ in der Gaststätte beschließen Axel und Henkel nicht noch einmal mit dem Busshuttle hinabzufahren und schließen sich uns an, beim gemütlichen Hüttenschmaus. Satt und zufrieden krabbeln alle ins Bett.
Die Fakten des Tages:
2.561 Höhenmeter, 107,03 km (davon 55,57 km in 3:43:21 Std. bergauf), durchschnittliche Herzfrequenz 152 bpm, Temperatur zwischen 16,2° und 43,1°C, max. Steigung 13 %, max. Geschwindigkeit 91,72 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 21,56 km/h und 21,257 km/h overall, min./max. Höhe: 800/2.234 m, Kalorienverbrauch: 3.789 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: P 162 in 5:02.00 Std., Platz 147 / 388,
Team Hamfelder Hof 1: P123 in 4:38.39 Std., Platz 163 / 445.
(Schaalsee-Express: P150 in 4:55.10 Std., 144 / 378)
Fünfte Etappe (die meisten Höhenmeter)
Die Schaalsee-Jungs werden schon um 7.00 Uhr mit dem Shuttle abgeholt, während wir gerade gemütlich das Frühstück einläuten.
Noch schnell ein Bild mit dem dicken Bernhardiner des Wirtes und schon rollen wir die 12 km zurück nach Falcade zum Start. In der Aufstellung erspähen wir mal wieder Peter Mauritz, Sporthändler aus Lübeck und mit Dirk gut bekannt.
Heute haben wir einen schönen Blick auf den Start der vorderen Blöcke: Der A-Block zieht gleich los, als sei es eine flache RTF. Der B-Block zischte auch los, wie von der Tarantel gestochen, während es bei uns im mittleren Tempo losging. Nur einem Kilometer flach, dann ging es den bekannten Weg hinauf zum Passo Valles entlang. Die Beine liefen heute trotz der schon enorm warmen Temperaturen gut, ich konnte meinen „Tempomat“ wieder schön auf 80 % einstellen und bereits zu Beginn der Steigung habe ich den Schaalsee-Express hinter mir gelassen – ein Rennen ist ein Rennen und auch wenn man im Niemandsland des hinteren Mittelfeldes herumdümpelt, so kann man sich doch zumindest einen kleinen Schlagabtausch konstruieren.
Die rund 8 km lange Abfahrt war zwar eine angenehme Abkühlung, brachen aber den guten Rhythmus: Der folgende, an sich schöne, weil gleichmäßig und mäßig steigende Passo Rolle rollte gar nicht gut, die Beine wurden wieder langsam und auch der Puls sank wieder ab, in gleichem Maße stiegen die Temperaturen. Auf der Passhöhe wurde es höchste Zeit für frische Getränke und nun kam eines der Highlights der ganzen Woche: Eine 50 km lange Abfahrt! Anfangs noch kurvenreich, später in weiteren Bögen – so etwas könnte ich tagelang machen, denn bergab zu fahren, ist schließlich mein einziges Talent.
Nun folgt der 28 km lange Anstieg zum Monte Grappa – das heißt umgerechnet weit über zwei, und wenn es schlecht läuft bis zu drei Stunden non-stop bergauf. Die Temperaturen haben mittlerweile Backofen-Niveau und ich lasse die Gruppe ziehen, fahre rechts ran und erleichtere mich noch mal um ein paar Hundert Gramm, ehe ich wieder mit dem Tote-Hosen-Mantra den Berg erklimme.
Mein linker Fuß schmerz mittlerweile fast unerträglich, weder lockern oder festziehen der Schnallen bringt irgendeine Linderung. So kommt zur ohnehin schon müden Performance noch ein „Schon-Tritt“ hinzu, denn wirklichen Druck kann ich mit dem schmerzenden Vorderfuß nicht mehr ausüben. Sobald sich die Gelegenheit eines kleinen Schattens bietet, wird die Straßenseite gewechselt, und der Berg gibt sich launisch: Mit nur endlos lang und unendlich heiß, auch die Steigungsprozente wechseln ständig und brechen den Rhythmus. Zum ersten Mal in den letzten 22 Jahren habe ich den Wunsch, mir den Helm vom Kopf zu reißen – unerträglich heiß brennt der Fixstern und ich habe das Gefühl, mir würde gleich die Rübe explodieren. Was mich aufrecht erhält, ist die Hoffnung einen Vorspruch auf den Schaalsee-Express zu retten – die wird aber an der Verpflegungsstation 7 km vor der Passhöhe zerstört, an der Henkel bereits steht und Axel kurz hinter mir ankommt.
Einen Kilometer weiter ziehen die Jungs unwiderstehlich an mir vorbei und so geht die Schinderei weiter. Oben auf dem Pass ein weiterer Stop: Kurz einen kleine Stein als Souvenir für meine Liebste eingesteckt, Windweste übergezogen und - nachdem ich diesem Schinder-Berg unten schon an den Fuß gepinkelt hatte - vollendete ich das Werk und pinkelte ihm als Zeichen der Verachtung noch einmal auf den Kopf.
Ab ging es in die Abfahrt – Zeichen von Konzentrationsmangel: Die Sonnenbrille klemmte noch am Hinterkopf, der Reißverschluss der Weste hatte sich in Brusthöhe verhakt und die enge, holperige und mit vielen engen Kehren gespickte Straße machte mir anfangs echte Mühe; meine schlechteste Abfahrtsleistung. Bald aber wird der Belag besser, die Fahrbahn breiter und die Kehren sind besser auszumachen. Ich überhole wieder zahlreiche Fahrer und behalte ein Team vor mir in Reichweite – schließlich folgen unten noch sieben leicht ansteigende Kilometer bis ins Ziel, auf denen ein wenig Windschatten ganz nett wäre. Sorgen bereitet mir aber der verklemmte Reißverschluss der Weste: Normalerweise kann die die Weste gut während der Fahrt ausziehen, aber dafür darf natürlich nichts klemmen. Außerdem ist die Abfahrt so warm, dass die Weste ohnehin nicht nötig gewesen wäre.
Auf den längeren Geraden kann man einen wunderbaren Blick über die Po-Ebene genießen – eine echte Abwechslung nach all den Tagen mit hochalpinen Panoramen. Unten angekommen, schaffe ich es mit einem beherzten Ruck den Reißverschluss wieder flott zu machen und verstaue die Weste in der Trikottasche, genau wie einer meiner Begleiter. Im Trio geht es durch sengende Hitze hinauf nach Crespano del Grappa, wobei ich kurz vor dem Ort reißen lasse, noch einmal heranfahre, um dann meinen Windschattenspendern bei der Zieleinfahrt den Vortritt zu lassen.
Im Ziel das gewohnte Bild: Dirk und Stephan im Chillout-Modus, Sven steht am Kaffeestand an – schnell raus aus dem Schuhen, einen Kaffee-Gutschein aus der Tasche gepult und Sven in die Hand gedrückt. Dann an in die Ecke setzten und den Jungs die Ohren volljammern …
Unser Quartier im Nachbarort ist nur 2 km entfernt, heute gibt es zwei Einzel- und ein Doppelzimmer. Damit Sven nicht von Stephans Schnarchen geweckt und Stephan nicht vom wachliegenden Sven geweckt wird, ziehen Dirk und ich ins Doppel und nach der Dusche geht es per „Haustaxi“ zu Dritt in den Ort, Sven chillte noch ein wenig im Zimmer. Am Schwalbe-Stand tausche ich dann den einen verunfallten und die beiden ermordeten Schläuche gegen 3 neue. Der Schwalbe-Mensch macht sich einen Spaß daraus den Michelin-Latex-Schlauch mittels Kompressor aufzupusten – geschätzte 4 Meter Durchmesser hielt er locker aus, ohne zu platzen, das macht keine Butyl-Pelle mit.
Bei der Pasta-Party sind wir zwar rechtzeitig, um eine gute Position weit vor in der Schlage zu ergattern – nur leider ist die Anfangszeit von 18.00 Uhr italienisch gedehnt, erst mit 20 Verspätung beginnt die Essensausgabe in südlich gemäßigtem Tempo. Das Essen war zwar gut, aber nicht sehr reichlich, und da ein Nachschlag mit Blick auf die endlose Schlange nicht sehr verlockend erscheint, laufen bzw. humpeln wir wieder zurück in unsere Herberge. Da diese zugleich Pizzeria ist, legen wir noch einen zweiten Gang nach – Dolce Vita! Später erleben wir in der Bar das aus deutscher Sicht wenig erfreuliche EM-Halbfinale, bei dem sich unsere Gastgeber sichtlich mit angezogener Handbremse freuen – sehr rücksichtsvoll, mille grazie!
Die Fakten des Tages:
3.047 Höhenmeter, 128,68 km (davon 49,27 km in 4:05:50 Std. bergauf), durchschnittliche Herzfrequenz 149 bpm, Temperatur zwischen 20,2° und 39,6°C, max. Steigung 15 %, max. Geschwindigkeit 70,58 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 21,58 km/h und 21,211 km/h overall, min./max. Höhe: 195/1.957 m, Kalorienverbrauch: 4.596 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: P 151 in 6:03.59 Std., Platz 143 / 376, #
Team Hamfelder Hof 1: P139 in 5:57.16 Std., Platz 156 / 422.
(Schaalsee-Express: P142 in 5:59.43 Std., 140 / 367)
Sechste Etappe (die längste Etappe)
Neutralisiert starten wir auf rund 12 km Länge bis Bassano del Grappa. Trotz Überholverbot innerhalb der neutralisierten Gruppen und Androhung verschärfter Kontrollen durch die Motorrad-Marshalls rauschen etliche Kandidaten links vorbei – vornehmlich dann, wenn es wegen diversen Engstellen ohnehin gefährlich wird.
Ich bin heute mit den Einlagen aus Stephans Zivilschuhen unterwegs – ungewohnt, aber deutlich besser als am Tag zuvor. Heiß ist es bereits, zum Glück schlängelt sich der erste Pass des Tages Kurve um Kurve in eher schattiger Umgebung den Berg hinauf. Auf der folgenden Asiago-Hochebene ist es zwar nicht wirklich eben, dank guter Gruppe ist diese aber zügig passiert. Nach der Abfahrt folgen kräftezehrende 1.200 Hm auf 20 km hinauf auf den Melignon – kein Ende in Sicht, kein Ende in Sicht, kein Ende in Sicht …
Oben angekommen stehen schon über 100 km auf dem Tacho, die „nur noch“ folgenden 45 km gehen aber fast ausschließlich bergab, der 3. Pass des Tages, Passo della Fricca, ist nur noch eine kleine Gegenwelle. Schon oberhalb von Trento liegt wieder die Zeitfahrmatte, den Weg durch die Stadt ging dann also fast als Sightseeing-Fahrt durch. Heute hatte Axel seinen schweren Tag, die Langstrecke hatte ihren Tribut gefordert und er saß geschlagen mit im Wasser baumelnden Füßen auf dem Brunnen - wir waren wieder bis auf einen Platz an den Schaalsee-Express herangerückt.
Nach dem obligatorischen Kaffee ging es über die Etsch und hinauf zu unserem Hotel. An sich idyllisch in einem Weinberg gelegen, leider durch die Autobahn beschallt.
Mit dem Taxi ging es zur Pasta-Party, und dort reifte ein teuflischer Plan …
Die Fakten des Tages:
2.740 Höhenmeter, 146,37 km (davon 56,72 km in 3:59:50 Std. bergauf), durchschnittliche Herzfrequenz 143 bpm, Temperatur zwischen 24,3° und 41,9°C, max. Steigung 13 %, max. Geschwindigkeit 66,32 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 23,07 km/h und 22,153 km/h overall, min./max. Höhe: 115/1.508 m, Kalorienverbrauch: 4.410 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: P 150 in 6:15.55 Std., Platz 141 / 373,
Team Hamfelder Hof 1: P120 in 5:57.28 Std., Platz 150 / 399.
(Schaalsee-Express: P154 in 6:18.25 Std., 140 / 370)
Siebte Etappe (Finale!)
Wir lagen rund 11 Minuten hinter dem Schaalsee-Express – recht aussichtslos, aber wir wollten am letzten Tag noch mal echtes Racing bieten und daher musste Dirk heute für mich arbeiten: Zunächst ließen wir allen anderen den Vortritt, um als letzte aus dem Block C über die Zeitfahrmatte zu rollen.
Es ging zunächst flach und neutralisiert aus Trento heraus, und nach der neutralen Phase arbeiteten wir und auf dem Flachstück im Feld nach vorn, womit wir schon mal Sekunde um Sekunde gutmachten. Dann sahen wir Henkel mit Panne ausrollen, seine Kassette hatte sich gelockert. So wollten wir natürlich nicht unsere Zeit aufholen, aber Axel fuhr weiter und da Henkel der stärkere der beiden ist, würde er auf dem langen ersten Anstieg schon wieder zu seinem Partner auffahren können. So war es dann auch wie wir später erfuhren: Der Rose-Wagen machte das Rad wieder flott, Henkel fuhr hinter dem Feld in den Berg und konnte dann wieder richtig Plätze gut machen. Ab der Verpflegung war der Express wieder zusammen und konnte den Rest der Strecke gemeinsam bewältigen.
20 Kilometer weit ging es 1.361 Höhenmeter den Viote hinauf. Heiß war es, und so waren bis zur ersten Verpflegung oben auf dem Berg auch schon beide Flaschen leer. Die Beine liefen recht ordentlich, die Füße waren trotz Einlagen-Unterstützung nicht ganz so fit, wie gestern. Dirk fuhr mit den leeren Flaschen vor und holte im Stil eines echten Wasserträgers frische Getränke, so dass ich nicht anzuhalten brauchte. Auf der Abfahrt ließen wir die wenigen Fahrer um uns herum schnell stehen, unten im Valle di Laghi angekommen, zogen wir ein wahres Paarzeitfahren auf, ehe wir Lago die Toblino in eine Gruppe hineinfuhren.
An der vor der Ponte Arche liegenden Kuppe fuhr Dirk wieder mit den geleerten Flaschen vor, ich hatte alle Mühe mich in einem Grüppchen zu halten, kam aber kurz nach Dirk an der Verpflegung an und fuhr vorbei. Kurz darauf klopfte mein Getränke-Service an und so fuhren wir auf den letzten kleinen Pass der Transalp zu: An sich ein lächerlicher Maulwurfshügel, `ne Schippe Sand, eine Asphaltblase – 370 Höhenmeter auf 10 km stellte der Passo del Balino noch einmal in den Weg, aber der linke Fuß machte wieder schmerzlich auf sich aufmerksam und ich musste selbst für geringe Tretleistung mächtig auf die Zähne beißen. Linkerhand zauberte der Lago die Tenno, offenbar ein Verwandter von Karl May’s Silbersee, ein Lächeln ins Gesicht, und dann ging es auch schon hinein in die letzte Abfahrt der Tour:
Noch ein letztes Mal richtig laufen lassen, am Ortseingang lag die Zeitmatte und so konnten wir im Stil einer Tour D’honneur über die Ziellinie rollen. Geschafft: 808 km, 18.885 Höhenmeter und 17 Pässe lagen hinter uns, der letzte Kaffee am Sigma-Stand vor uns. Hinter der Zieldurchfahrt erfolgte der Tausch „Transponder gegen Medaille“ und nach dem Kaffee ging es auf die Bühne um das heißbegehrte Finisher-Trikot in Empfang zu nehmen.
Danach gesellten wir uns zu Sven und Stephan in den Biergarten und auch die Schaalsee-Jungs waren da: Zehneinhalb Minuten haben wir ihnen abgenommen, 23 Sekunden konnten die beiden retten. Nach solch einer langen Strecke ein wahres Wimpernschlagfinale, Racing bis zur Ziellinie und am Ende waren die besseren vorn – Glückwunsch und Dankeschön für den coolen Fight im heißen Italien! Darauf und nach der langen alkoholfreien bzw. reduzierten Zeit waren für jeden 4 Krüge Bier dabei.
Leicht angeeimert ging es rüber zum Fahrradtransport, denn schon am gleichen Tag machten sich die LKW mit den Rädern zurück auf den Weg nach Mittenwald.
Wir ließen uns mit dem Taxi in unser Quartier, die Acetaia del Balsamico Trentino, eine Essig-Destille mit schönem Blick auf den Gardasee.
Nach dem Duschen fuhr unsere Stammtaxi-Fahrerin uns in landesüblichem Stil wieder runter zur Pasta-Party – spät kommend hatten wir zwar keine Wartezeit, das Essen war aber eher durchschnittlich. Ein letztes Mal die Siegerehrung, noch ein Plausch mit Peter Mauritz und Henri Verkampen, eher wir via Eisdiele noch in eine Pizzeria zogen, um den Abend gemütlich ausklingen zu lassen.
Die Fakten des Tages:
2.125 Höhenmeter, 101,93 km (davon 37,64 km in 2:46:24 Std. bergauf), durchschnittliche Herzfrequenz 151 bpm, Temperatur zwischen 26,0° und 44,2°C, max. Steigung 13 %, max. Geschwindigkeit 81,83 km/h, durchschnittliche Geschwindigkeit (ohne Pausen) 23,41 km/h und 23,626 km/h overall, min./max. Höhe: 94/1.562 m, Kalorienverbrauch: 3.321 kcal.
Fahrzeiten:
Team Hamfelder Hof: P 132 in 4:13.57 Std., Platz 139 / 368, Gesamtfahrzeit 36:50.46,9 Std.
Team Hamfelder Hof 1: P100 in 4:03.10 Std., Platz 142 / 380, Gesamtfahrzeit 37:07.02,3 Std.
(Schaalsee-Express: P151 in 4:24.24 Std., 138 / 366, Gesamtfahrzeit 36:50.23,9 Std.)
Epilog
Nach einem herrlichen Frühstück mit Blick auf den Gardasee holte unser Taxi uns um 9.00 Uhr ab, die Busse sollten um 10.00 Uhr abfahren.
Dirk durfte bleiben – 10 Tage Gardasee-Urlaub warteten auf ihn, welch ein Glücksschweinchen. Damit löste sich das geniale Quartett auf – sehr gut harmoniert haben wir in all den Tagen, wenn sie auch nicht immer einfach waren. Aber jeder könnt' es machen, wenn es einfach wär.
Schon eine halbe Stunde vor der Zeit ging es los, und so waren wir inkl. einem Stop ruck-zuck über den Brenner und 4 Stunden später in Mittenwald. Die unversehrten Räder und das Gepäck aufgepickt, den Bus beladen und dann kehrten wir noch zu einem kleinen Mittag im Café Haller ein – das Eis der dazugehörigen Bude ist der Hammer!
Die lange Rückfahrt verkürzten wir uns mit dem EM-Finale aus dem Radio. Erst wurde Stephan Zuhause abgeliefert, ich musste meine Sachen noch in Kuddewörde umladen und nach Hause fahren – so war dann Montag früh gegen 1:30 Uhr das Abenteuer Transalp beendet.
Dieser kleine Bericht enthält natürlich nur ganz stark gekürzt die Erlebnisse einer unendlich intensiven Woche. Außerdem streng subjektiv – meine Mitstreiter werden viel anderes und das Gleiche sicher teilweise etwas anders erlebt haben.
Hätte man mich in der 2. Wochenhälfte gefragt, ob ich noch einmal eine Transalp fahre, so hätte ich wohl geantwortet: „Sehr wahrscheinlich nicht – willst du vielleicht eine Kompakt-Kurbel kaufen?“ Auf dem Weg Nachhause war ich mir das schon nicht mehr so sicher. Jetzt, wo das Rad wieder auf Flachlandübersetzung zurückgerüstet ist und ich die beiden ersten Fahrten im heimischen Revier hinter mir habe, sage ich: Ja, das war bestimmt nicht meine letzte Transalp. Vielleicht nicht schon im nächsten Jahr, aber wenn Uli Stancius Nachfolger eine schöne Route ausarbeitet, es vom Timing her passt und sich ein passender Partner für den Berggorilla findet: Ich bin dabei! Damit ist also für die Transalp-Karriere kein Ende in Sicht, kein Ende in Sicht, kein Ende in Sicht …