Das „Brechen“ des Rekordes hat wohl eher symbolischen Charakter, denn über diesen langen Zeitraum zwei Rekorde vergleichen zu wollen und womöglich noch unter gleichen Umständen messen zu wollen, wird durch den normalen Fortschritt der Welt erschwert. Wie die beiden so in etwa ihren Rekord aufgestellt haben, hab ich mal versucht rauszufinden:
Kurt:
Alicia organisiert die Logistik dieser Mission, kümmert sich um die Technik, um Routen, Verpflegung und was immer sonst anfällt…..
Er fährt mit dem Wohnmobil an den Arkansas River, hebt ein Rad aus dem Träger am Bus, startet das Satelliten-Live-Tracking-Gerät und den GPS-Radcomputer. Spätestens um sechs Uhr sollte er auf dem Rad sitzen. Bis 20 Uhr fährt er. Und obwohl seine Pausen die Bezeichnung kaum verdienen, summiert sich der Stillstand auf etwa zwei Stunden am Tag……
Wenn er Pech hat und das Wetter zu schlecht für interessantere Landschaften ist, fährt Searvogel den ganzen Tag nur im Hamsterrad. 20 Mal hin und her, 200 Meilen, 320 Kilometer. Hat er Glück im Unglück, schwärmen am Nachmittag die Radler aus. Jeder, der in Little Rock ein Rennrad besitzt, hat von Kurt Searvogel gehört und sucht ihn am Arkansas River, um ihm Windschatten zu geben. Wenn Searvogel seine Runden dreht, sammelt er an guten Tagen um die zehn Rennradfahrer ein, ohne dass er sich mit ihnen verabreden müsste.
Tommy:
Aber entzaubert man diesen übermenschlichen Rekord nicht, wenn man neben dem Arkansas River stur auf und ab radelt? Tommy Godwin drehte 1939 lange Runden durch die englischen Hügel, er radelte durch zwei strenge Winter. An einem Tag, so berichtete es das Magazin Cycling, stürzte er 84 Mal auf den verschneiten Straßen. Der Zweite Weltkrieg brach während seiner Rekordfahrt aus. Wegen drohender Luftangriffe musste Godwin die ohnehin schwache Beleuchtung des Fahrrads dämpfen. Seine Nachtfahrten bestritt er dadurch fast blind. …..
Seinen Rekord stellte Tommy Godwin zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 1939 auf. Der damals 27-Jährige überbot auf einem Vier-Gang-Fahrrad die damals geltende Bestmarke von 100 837 Kilometern um fast 20 000 Kilometer……
Andererseits unterstützte der Radhersteller Raleigh den Rekord von Tommy Godwin. Die Firma organisierte einen Chefbetreuer, Begleitfahrzeuge, Ersatzteile, Ersatzräder. Den Hauptteil seiner Strecke legte Godwin binnen vier Monaten im Sommer 1939 im Windschatten anderer Fahrer zurück, die ihn im Auftrag von Raleigh quasi durch England zogen.
So wurden z. B. die Kilometer gemessen
Tommy Goodwin:
Für die Rekordfahrt war sein Fahrrad mit einem versiegelten Kilometerzähler versehen; er musste seine Fahrten schriftlich dokumentieren und diese Niederschriften von Zeugen unterschreiben lassen. An bestimmten Punkten wurden Schiedsrichter postiert
Kurt Seavogel:
Jeden Tag müssen etwa die GPS-Daten der Fahrten bei strava.com hochgeladen werden, einer Art Facebook für Fahrradfahrer. So verlangt es das Reglement der UMCA
Und was es sonst noch so gab:
Kohlenhydrat-Smoothies konnte sich Godwin keine kaufen. Lebensmittel waren während des Krieges rationiert, und er war auch noch wählerisch: Godwin lebte als Vegetarier, damals eine Seltenheit. Milch, Eier, Käse und Brot trieben seine Beine an. Er fuhr auf einem Rad, das mit heutigen Carbon-Rennrädern kaum zu vergleichen ist. Er hatte keine atmungsaktive, schnell trocknende Funktionswäsche. Godwin fuhr in Wollkleidung, die im englischen Regen sagenhafte Mengen Wasser aufsog und dann schwer an seinem Körper hing. Statt Radhosen mit Gesäßpolster trug er angeblich Damenunterwäsche unter der Hose: Die Seidenhöschen verringerten die Schmerzen am Gesäß etwas, weil sie weniger an der Haut rieben.
Andererseits frage ich mich, warum es bisher keiner versucht hat oder hat man es nur nicht mitbekommen? Oder ist der Preis zu hoch?
Godwins Hände blieben nach der Tortur noch Zeit seines Lebens leicht gekrümmt. Es dauerte, bis er seine Fersen wieder auf den Boden drücken und richtig laufen konnte. Nach so vielen Tagen im Sattel waren seine Beine nicht mehr für den Bodenkontakt optimiert.
Das Jahr im Sattel zehrt an Searvogels Körper. Er fährt mit einem Triathlonlenker, auf dem man die Unterarme abstützen kann. Das bietet ihm die Wahl zwischen zwei Arten von Schmerzen: »Wenn ich aufrecht sitze, tun mir die Hände weh. Wenn ich meine Unterarme in die Stützen lege, schmerzt mir der Hintern.« Wenige Wochen nach dem Beginn seiner Fahrt kam der Schmerz – ein Abszess am Gesäß von der Größe einer geballten Faust. Searvogel radelte vier Tage im Liegerad. Seit er aber im Sommer in Wisconsin Asthma bekam, verschafft ihm das Liegerad weniger Linderung: »Ich kriege in der Sitzposition schlecht Luft.« Wegen des Asthmas war er ein paar Mal in der Notaufnahme. Ein paar weitere Male, weil sein Herz aus dem Takt schlug. Vorhofflimmern. »Der Arzt hat gesagt, mein Herz spielt verrückt«, sagt Searvogel. Auf strava.com ist für jeden Tag seine Herzfrequenz nachzuvollziehen. Fast immer liegt sein durchschnittlicher Puls zwischen 90 und 100. Auch bei Fahrten über 350 Kilometer, mit einem Schnitt von 30 Kilometern pro Stunde. Das Herz soll im Eimer sein? »Manche Leute sagen, dass mein Puls unmöglich so niedrig sein kann und nicht mal Profis so einen Puls haben«, sagt Kurt. »Natürlich kann das sein – weil diese Profis halbverhungerte Winzlinge sind und ihr Herz so klein wie ein Scheißkolibri ist!«
Naja, wie dem auch sei, von beiden eine tolle Leistung, Tommy war 27, Kurt ist mit 52 fast doppelt so alt.
Und was macht man nach so einem Rekord?
Statt groß zu feiern, fuhr Godwin damals weiter - und schrieb am 18. Mai 1940 erneut Geschichte: Er schaffte 100.000 Meilen binnen 500 Tagen.
In diesem Sinne, keep Riding