Challenge Kraichgau 70.3 – 2012 (Bericht+Bilder)

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Peer
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Challenge Kraichgau 70.3 – 2012 (Bericht+Bilder)

Beitragvon Peer » 16.06.2012, 21:23

Challenge Kraichgau 70.3 – Mein erster Half-Ironman

Nach mehr als vier Jahren Sprint- und Olympischer-Distanz stand in diesem Jahr für mich das erste Mal eine Mitteldistanz auf dem Zettel (1,9 km Schwimmen, 90 km Radfahren, 21 km Laufen). Ich wollte eine neue Erfahrung, ein neues Abenteuer, und das sollte ich auch bekommen. Ich hatte mir die Challenge Kraichgau als Event ausgesucht, da diese von vielen Vereinskollegen als „bestens organisiertes Event“ beschrieben wurde. Dieses Jahr ermittelt die Challenge Kraichgau auch gleichzeitig den Europameister der Profis und Altersklassenteilnehmer.

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Für mich ging die Vorbereitung schon in den Wintermonaten mit viel Grundlagenausdauer los. Hier gab es auch gleich die ersten neuen Grenzen, nämlich die Zeit und die Organisation des Trainings. Man muss ja noch arbeiten, die Freundin will einen nicht nur schlafend auf dem Sofa zwischen zwei Trainingseinheiten sehen und Familie und Freunde will man natürlich auch nicht vernachlässigen. So gab es also neben der physischen Belastung des Trainings auch eine für mich neue psychische, die gemeistert werden wollte.

Fast 5 Monate Vorbereitung und dann ist es endlich Juni. Der letzte Formcheck war die olympische Distanz beim Vierlanden Triathlon, bei dem alles glatt lief. Am Freitagvormittag geht es dann los in Richtung Süddeutschland. Ich hatte mich dazu entschieden die komplett organisierte „Vereinsklassenfahrt“ der Triabolos zur Challenge Kraichgau mitzumachen, was neben dem Spaß mit der Gruppe noch den Vorteil hat, dass ich mich voll auf das Event konzentrieren kann.

Nach der Ankunft und dem Einchecken im Race-Hotel Medici ist noch Zeit etwas Essen zu gehen und den Abend mit Fussi-EM und einem echten Bierchen ausklingen zu lassen (ja.. man muss ja auch noch leben zwischendurch). Am nächsten Morgen trifft man neben den Vereinskameraden auch einige der schon angereisten Profis beim Frühstück und so kann man über das Frühstücksei hinweg ein paar Worte mit Andreas Raelert oder Sonja Theissig wechseln.

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Danach geht's raus auf eine kleine 30 km Streckenbesichtigung mit dem Rennrad. Beim entspannten Drüberrollen über den Schindelberg wirkt dieser gar nicht so unangenehm wie gedacht.

Zurück auf dem Hotelparkplatz werden wir fast von einem Auto über den Haufen gefahren. Yvonne van Flerken, die Titelverteidigerin bei den Frauen lässt das Seitenfenster herunter und säuselt mit dem holländischen Akzent, den deutsche Fernsehzuschauer so lieben: "Schooory, ich fahre besser mit die Rennrad als mit das Auto" - Gelächter. Wer kann ihr da Böse sein? Die freundliche, energiegeladene und emotionale Niederländerin wird später 7. Die Enttäuschung ist ihr nachher im Zielbereich deutlich anzusehen.

Den restlichen Tag schlägt sich hier jeder so gut es geht um die Ohren. Starter-Paket abholen, über die Messe schlendern, Sachen für den Renntag sortieren. Rennrad-Einchecken, Kaffee-Klönrunde im Hotelgärtchen, nochmals Sachen sortieren... irgendwas fehlt... nee doch nicht.

Essen gehen. Am Abend schauen noch viele das Deutschlandspiel, aber ein Blick in die Gesichter zeigt deutlich, dass im Kopf schon jeder beim Renntag ist. 23:30 Licht aus. Um 5:30 geht's hoch. Frühstücken. Auch die Profis sind heute sehr still und konzentriert. Mit dem "Mannschaftsbus" zum Startbereich. Die üblichen Prozeduren vor dem Wettkampf sind bekannt. Die Beutel für Rad- und Lauf-Wechsel werden abgegeben. Dass die Challenge-Kraichgau gleichzeitig die Europameisterschaft der Mitteldistanz ist, wird klar, wenn man sich die anderen Athleten und ihr Material anschaut. „Jedermänner“ sucht man hier vergebens. So ein stark besetztes Feld habe ich noch nie gesehen. Hier überlasst keiner etwas dem Zufall.

30 Minuten vor dem Start in den Neo und runter zum Schwimmstart. Die Challenge-Moderatoren geben Vollgas. Rockhymnen dröhnen durch die Boxen, der Moderator heizt die Menge an. Gänsehautschauer laufen mir nun im Minutentakt über den Rücken. Dann geht es endlich los. Warmschwimmen im 20 Grad warmen, türkisfarben leuchtenden See mit 450 weiteren Startern.

Kurz vor 9:00 hämmern die Glocken von "Hells Bells" durch die Boxen. Die Zuschauermenge jubelt. (für Live-Feeling hier parallel laufen lassen http://www.youtube.com/watch?v=2Kjh9lQXLWk). Jetzt kann man das Adrenalin fast auf der Zunge schmecken. Dann der Startschuss. Bäm. Die ersten Meter laufen gut, dann mal wieder meine "Schwimmprobleme", die ich diesmal nicht im Detail ausführen möchte. Kurz: Wassergeschluckt, Panikattacke, Abbruchgedanken, 100 Meter Brustschwimmen, irgendwie ins Schwimmziel kommen....

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Nach 36 Minuten habe ich wieder Boden unter den Füssen. Entnervt rupfe ich mir den Neo runter. Im Kopf überlege ich schon, wie viel ich hier an Zeit liegen gelassen habe. 6 Minuten? 7? Mal sehen, was beim Radfahren so geht. Das erste Stück ist flach und der Wind kommt leicht von Hinten. 45 km/h und der Puls pendelt sich bei 160 ein. Leider fühlt es sich heute nicht so druckvoll an, wie in den letzten Wochen beim Vierlanden-Triathlon oder beim Training. Es ist keine Katastrophe, aber den besten Tag haben meine Beine diesmal einfach nicht.

Das alles rückt aber nun mehr und mehr in den Hintergrund, denn ich fange an die Strecke und das Event zu genießen. Eine wunderbare Landschaft gepaart mit schönem Wetter, das leise Rauschen der Laufräder und die kräftige Atmung dringen an mein Ohr. Das Leben ist schön. An den ersten Anstiegen springt mir zwei mal die Kette vom Blatt. Schaltfehler meinerseits. Die 20 Sekunden sind mir bei der Mitteldistanz aber egal, gut gelaunt geht es weiter.

Jetzt sind die "Wellen" erreicht, die häufig, aber so knackig sind, dass ich in den Wiegetritt wechseln muss. Die Zuschauer sind grandios. In den kleinen Dörfern herrscht Volksfeststimmung und ähnlich wie man es von der Tour de France kennt, haben sich Jung und Alt mit ihren Tischen vor die Häuser gesetzt und verfolgen das Spektakel während eines Familien-Picknicks. Die Strecke ist vorbildlich präpariert und die Gefahrenstellen sind sehr gut markiert. In Gochsheim hat man teilweise das Gefühl, in eine Wand von Zuschauern zu fahren. Emotionen pur.

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Der Fanclub des Lokalmatadoren Sebastian Kienle hat ganze Arbeit geleistet. An jedem Hügel sind diverse Schilder mit Sprüchen aufgestellt, die ihm Mut machen sollen bzw. die Gegner demotivieren. "180 ist doch kein Puls Sebi", "Hat jemand Sebis Nummer?" Das Schild "Sebi ist schon Duschen" stand bei km 80 beim schärfsten Anstieg am Schindelberg, den ich mit Puls 180 hochstampfe. Duschen ist er noch nicht, aber er hat an dieser Stelle schon fast 40 Minuten Vorsprung und duelliert sich gerade mit Raelert und Sudrie auf der Laufstrecke.

Für mich ist die Bergkuppe endlich erreicht und der Moderator sowie die Zuschauer feuern jeden Ankömmling lautstark an. Ein Lachen kann ich mir nicht verkneifen. Jetzt geht es praktisch 10 km nur noch bergab in Richtung Wechselzone.

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Mit einer Radzeit von knapp 2:40 steige ich vom Sattel. Ich schaue nicht auf meine Zeit und lasse mich am Ende einfach überraschen. Am Eingang der Wechselzone in Bad Schönborn stehen Helfer, die einem das Fahrrad abnehmen und für einen auf der Stange parken. Während man nun in der Wechselzone weiterläuft, ruft ein Helfer die Nummer jedes Athleten nach hinten in den Bereich mit den Wechselbeuteln. Sobald man diesen erreicht hat, bekommt man schon seinen Beutel in die Hand gedrückt und wird in Richtung der Wechsel-Bänke dirigiert. Hier setzt man sich hin und eine weitere Helferin öffnet den Beutel und reicht einem zügig den Inhalt.

Alle Helfer sind hier extrem ambitioniert und man erkennt, dass sie ihre Aufgabe sehr ernst nehmen und dafür sorgen wollen, dass der Athlet so wenig Zeit wie möglich in der Wechselzone verbringt. Während ich die Schuhe anziehe kommt von hinten die Frage „Sonnencreme?“. Noch eine Helferin mit sonnencremebeschmierten Händen steht mit fragendem Blick hinter mir. „Nein, danke“ sage ich und denke „Wie geil ist denn bitte dieser Wechselbereich?“. Die Challenge Events bieten wirklich jedem Sportler, ob Profi oder Hobbysportler das gleiche Paket an Betreuung. Ich bin schwer beeindruckt.

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Jetzt geht es auf die Laufstrecke. 3 Runden á 7 km sind zu absolvieren. Ich bin bisher noch nie einen Halbmarathon gelaufen und schon gar nicht nach 90 km auf dem Rad. Entsprechend zäh fühlen sich die Beine in den ersten Minuten an. Das ist ja auch normal, wenn man wie ich leider vorher kein Koppel-Training gemacht hat. Was neu ist: Das Gefühl hört nicht auf. Auch bei der Verpflegung an km 3 ist von „Spritzigkeit“ in den Beinen nichts zu merken. Kurze Pinkelpause in den Büschen – 30 Sekunden die ich nicht bereue.

Ich überhole, werde überholt, habe keine Ahnung welches Tempo ich laufe. Versuche hier und da dran zu bleiben, lasse wieder abreißen. Dann fällt der Groschen: Hier musst du dein eigenes Rennen laufen. Als ich nach der 1. Runde zum Zielbereich komme, muss ich leider in Richtung Runde 2 + 3 abbiegen. Ich leide jetzt und motiviere mich, indem ich mir sage „Hey.. 2 Alsterrunden… das packst du locker“. Locker sieht anders aus. Ich quäle mich jetzt immer mehr, versuche die Spannung im Körper zu halten. Jetzt sieht man am Straßenrand auch immer häufiger Sportler, die mit Krämpfen oder Erschöpfung zu kämpfen haben.

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Die Laufstrecke hat es wie auch der Bike-Kurs in sich. Ständiges rauf und runter über das hügelige Terrain. Die 2. Runde ist geschafft. „Die Letzte schaffste auch noch“ feuer ich mich an. An den Verpflegungsstellen habe ich bisher immer Wasser getrunken, da ich im gesamten Wettkampf alle 20-30 min. ein Gel genommen hatte und es von den Kohlehydraten bisher so immer gut gepasst hatte. Jetzt schreit mein Körper allerdings nach Zucker. Ich wechsel nun auf Cola. Noch 6 km bis ins Ziel und ich versuche nochmal ein ganz bisschen mehr aufs Tempo zu drücken. Keine Chance, bin am Limit. Dann einfach so weiter.

Die letzten Kilometer fühlen sich auf einmal super an. Ich genieße die tolle Stimmung, freue mich, dass ich körperlich noch relativ gut drauf bin, die Beine werden leichter. Ich biege auf die Zielgerade ab, nochmal ein kleiner Spurt. Geschafft! Nach 4 Stunden, 59 Minuten und 49 Sekunden habe ich meinen ersten Half-Ironman geschafft.

Direkt hinter dem Ziel sind haufenweise Stände mit Verpflegung. Kuchen, Obst, verschiedenste Getränke in Hülle und Fülle. Ich greife überall zu, esse 4 Streuselkuchen in 2 Minuten und spüle sie mit einem halben Liter Apfelschorle herunter. Ein großes Gewühl von Athleten, die sich austauschen, entspannen, sich verpflegen.

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Jetzt melden sich die Beine. Nichts geht mehr, die Muskeln werden fest. In Zeitlupe schleiche ich zum Massagezelt und lasse mich 20 Minuten massieren. Was für eine Wohltat. Jetzt wo Erschöpfung und Schmerz nachlassen, kommt auch die Freude und der Stolz über das Geleistete ins Bewusstsein. Als ich mit einem kalten Weizenbier in der Hand aus dem Massagezelt komme und in die Sonne blinzel, steigt ein Glücksgefühl in mir hoch: „Das war ein wirklich schönes Abenteuer!“.

Gruss
Peer

Fotos: Bild 1,3,4, 6, 7, 8: Challenge-Kraichgau, Bild 5: Marathon-Photos.com, Bild 2: Michael Meierhoff
Zuletzt geändert von Peer am 16.06.2012, 23:01, insgesamt 1-mal geändert.
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Beitragvon Konkursus » 16.06.2012, 22:03

Peer, ich kenn Dich zwar nicht, aber Deine Berichte lese ich immer gerne.

Auch diesmal wieder, man fiebert richtig mit und fühlt sich wie dabei. Ganz großes Kino und natürlich klasse Zeit.


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Beitragvon Tribala-Stine » 17.06.2012, 11:47

Glückwunsch Pokalhoch und eine super Zeit.

Ein toller Bericht.
Auch wenn diese Zeiten für mich utopisch sind, werde ich an deine Zeilen im September denken und mich damit motivieren :)

stine :wink:
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Marit
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Beitragvon Marit » 17.06.2012, 17:23

:GrosseZustimmung: :GrosseZustimmung: :Respekt: Toller Bericht und tolle Leistung!!!!

Gab am Freitag abend auf Sport1 einen tollen Bericht über diese Veranstaltung!
Wenn wir gewusst hätten, dass ein Fori mitmacht, hätten wir mal Ausschau nach Dir gehalten!
:wink: LG Marit
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Beitragvon Tribelix » 17.06.2012, 18:41

Erkenne mich da ein wenig wieder, nicht in den Zeiten, aber bei meinem ersten 70.3, da bin ich auch noch nie einen Halbmarathon zuvor gelaufen.

Super Bericht und Glückwunsch zum halben Ironman (Willkommen im Club) :GrosseZustimmung:
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Beitragvon Peer » 18.06.2012, 14:58

Tribelix hat geschrieben:Erkenne mich da ein wenig wieder
Du wirst lachen, aber Dein damaliger Bericht von der Vierlanden Mitteldistanz hat mich überhaupt dazu gebracht, zu überlegen die Strecke mal zu absolvieren. Und zwar ganz besonders der Satz hier, den ich jetzt verstehe:
"Die Mitteldistanz ist so gut wie man sich fühlt, bist du gut drauf ist sie schnell, fühlst du dich nicht gut, erschießt du dich auf der Radstrecke, spätestens auf der Laufstrecke." Tribelix aka Nichtraucher

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